Mai 20 2011

Das Jugendamt

Mächtiges Jugendamt gegen ohnmächtige Eltern

Immer mehr Kinder werden von Behörden in Obhut genommen. Grund sind die besonders grausamen Fälle von Kindesmisshandlung und Kindstötung, wie zum Beispiel bei der kleinen Lea-Sophie. Leider sind diese Maßnahmen oft ein Drahtseilakt zwischen Verantwortung und Verwahrlosung. Zurück bleiben zerstörte Familien.

 

Lisa hat Heimweh. Im Garten schaukelt die kleine Schwester. Oben hört der große Bruder laute Musik. Und in der Küche deckt ihre Mutter den Abendbrottisch. Aber Lisa will weg. Denn eigentlich gehört sie nicht hierher

Lisa, 12, ist erst vor zwei Wochen in die Familie in einer süddeutschen Kleinstadt gekommen. Der Mann vom Jugendamt hatte ihr Bilder von den netten Leuten gezeigt. Auch von dem Pony und den Meerschweinchen. Lisa hat kaum hingeguckt. Sie würde dort doch sowieso nicht lange bleiben.

Zu oft hat sie in ihrem Leben schon gemeint, jetzt sei sie endlich zu Hause angekommen. Doch die Großmutter war ebenso überfordert mit ihr wie die zig Pflegeeltern, bei denen sie sie sich daneben benommen hat. Und der Vater, bei dem sie eine zeitlang wohnen durfte, guckte einfach weg, wenn die Stiefmutter auf sie eindrosch. Jetzt sitzt sie hier, in ihrem Zimmer, bei diesen fremden Leuten. „Ich sag’ nie Mama zu Dir!“, fauchte sie kurz nach der Begrüßung die fremde Frau an, die jetzt ihre Mutter sein sollte. Ihre Mama war eine andere Frau. Dass die sich nach zerbrochenen Beziehungen und etlichen anderen Problemen mit Lisa und ihren drei leiblichen Geschwistern überfordert fühlte, daran will sie jetzt einfach nicht denken.

Lisa ist eines von Zehntausenden Kindern und Jugendlichen, die jedes Jahr in Deutschland von Jugendämtern in Obhut genommen werden. 2007 waren es 28.200 Kinder. Und es werden immer mehr. Insgesamt nahm die Zahl der von den Jugendämtern angeordneten Schutzmaßnahmen 2007 gegenüber dem Vorjahr um 8,4 Prozent zu. Das waren rund 2200 mehr Fälle als im Vorjahr, in denen Minderjährige in Heimen, Pflegefamilien oder anderen Einrichtungen untergebracht wurden. In Schleswig-Holstein stieg die Zahl sogar um 20 Prozent.

In den meisten Fällen fühlten sich die Eltern überfordert. In gut einem Viertel aller Fälle wendeten sich die Kinder und Jugendlichen selbst an die Behörde mit der Bitte, sie aus der Familie zu nehmen. Häufig geht es um Misshandlungen und sexuellen Missbrauch.

435 Kinder allerdings wurden deutschlandweit gegen den erklärten Willen der Sorgeberechtigten aus den Familien genommen. Das klingt im Verhältnis zu der Gesamtzahl von 28.200 marginal. Tatsächlich ist das aber etwas mehr als drei Mal so viel wie im Vorjahr. Und das hat seinen Grund. Jessica, Kevin, Lea-Sophie: Nach den tragischen Fällen von Kindern, deren Nöte den Jugendämtern in Hamburg, Bremen und Schwerin längst bekannt waren, und die dennoch an Misshandlungen starben oder verhungerten, sehen sie Behörden genauer hin.

Und der Gesetzgeber unterstützt sie dabei. Das 2008 vom Bundestag verabschiedete „Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls“ ermöglicht Familiengerichten und Jugendämtern, frühzeitig einzuschreiten. Bisweilen, so Kritiker wie der Europaabgeordnete Marcin Libicki, handeln die Ämter allerdings überstürzt.

Immer wieder werden Fälle bekannt, bei denen Eltern, die sich ungerecht behandelt fühlen, um ihre Kinder kämpfen. In Anbetracht der Überlastung der Jugendamtsmitarbeiter und der personellen Unterbesetzung trotz steigender Zahlen notleidender Kinder und Jugendlicher ist die Gefahr von Fehleinschätzungen tatsachlich da.

Tendenziell bleiben die Jugendämter allerdings der alten pädagogischen Devise treu, wonach es in nicht wirklich geordneten Verhältnissen bei Mama und Papa immer noch besser ist als im Heim oder bei Pflegeeltern. Und gehen damit auch immer wieder das Risiko ein, dass es zur Katastrophe kommt. Ein Dilemma für die Jugendämter.

 

Jugendamt nimmt Eltern grundlos Tochter weg

Kleine Derya stößt sich Kopf beim Spielen an – Ärzte glauben an Misshandlung.

München – Der Horror begann mit einem kleinen Unfall, wie er jedem Kind beim Spielen passieren kann.

Ein blaues Auge, zugezogen beim Herumtollen, nahmen Ärzte und Sozialpädagogen zum Anlass, ein viereinhalbjähriges Mädchen aus der Familie zu reißen. Der bloße Verdacht, das Kind könnte misshandelt worden sein, reichte ihnen aus, eine Behörden-Maschinerie in Gang zu setzten, an der eine fünfköpfige Familie beinahe zerbrochen wäre. Das Landgericht sorgte jetzt jedoch für Gerechtigkeit: Die Haunersche Kinderklinik muss 20 000 Euro Schmerzensgeld bezahlen!

Im Februar 2006 rannte die damals viereinhalbjährige Derya beim Herumtollen mit ihrer Schwester Damla gegen die Kante einer Tür. Das tat furchtbar weh und sah böse aus. Mutter Ezo Y. (34) brachte ihre Tochter sofort zur Kinderärztin, diese schickte das Mädchen zum Röntgen in eine Klinik. „Zum Glück hatte sich Derya nichts gebrochen“, so Vater Ugur Y. (36), ein Montagearbeiter bei BMW, zur tz. „Meine Frau konnte sie wieder mit nach Hause nehmen.“

Trotz eines blauen Auges durfte Derya einige Tage später wieder in den Kindergarten. Mitarbeitern kam die Verletzung dort komisch vor: War das Kind brutal misshandelt worden? Eine Mitarbeiterin des Jugendamtes wurde eingeschaltet.

Diese reagierte sofort und schickte Derya zur stationären Beobachtung in die Haunersche Kinderklinik. Dort war kurz zuvor eine „Kinderschutz-Gruppe“ eingerichtet worden. Es wurde eine „Helfer-Konferenz“ aus Ärzten, Psychologen und Sozialpädagogen einberufen. Der bloße Verdacht einer Misshandlung wurde nun plötzlich zur Gewissheit. Einhellige Meinung: Das Kind war durch Fausthiebe verletzt worden.

Ihm sei zunächst nur gesagt worden, seine Tocher sei zur Beobachtung in der Klinik, so Ugur Y. zur tz. „Wir haben tagelang gewartet.“ Auf die Frage, wann Derya wieder nach Hause gehen könne, hätten die Ärzte ihm gesagt, dies entscheide das Jugendamt. „Beim Jugendamt hat man mir gesagt, die Entscheidung liege bei den Ärzten“, so der Vater weiter. „Ich wurde hin- und hergeschickt.“

Der Fall landete inzwischen bei der Staatsanwaltschaft. Das Verfahren wurde rasch wieder eingestellt, nachdem es keine Hinweise auf eine Misshandlung gab.

Für die wohlsituierte türkische Familie ging der Horror weiter. „Uns wurde plötzlich gesagt, unsere Tochter befinde sich in einem Heim“, so Vater Ugur. „Meine Frau hat geweint.“ Die Ärzte hätten nachgefragt, warum sie weine. Ugur Y.: „Die haben gemeint, ich würde meine Frau schlagen. Nein, ich schlage sie nicht!“

Als die Ärzte dem Vater eröffneten, er werde seine Tochter wohl nicht wiedersehen, flippte der Vater aus, begann zu schreien. Die Mutter schluchzte. Folge: „Wir wurden ins Bezirkskrankenhaus Haar gebracht“, so Ugur Y. „Dort waren wir fünf Tage. Es war wie im Gefängnis.“

Die beiden anderen Kinder des Ehepaares, Damla (12) und Kaan (14), wären in dieser Zeit auf sich allein gestellt gewesen. „Gott sei dank habe ich eine Schwester, die sich um sie kümmerte“, erinnert sich der Vater. „Die Ärzte wollten meiner jüngsten Tochter helfen, haben aber meine beiden anderen Kinder total vergessen.“

Fast vier Wochen dauerte es, bis Derya wieder zu ihrer Familie zurück durfte. Wie ging es ihr im Heim? Der Vater: „Sie hat Angst gehabt und wollte nicht darüber reden.“

Er schaltete im Kampf gegen den Behörden-Irrsin Rechtsanwalt Uwe Patrunky ein. Ist der böse Verdacht, Derya sei geschlagen worden, nun endgültig ausgeräumt? Ja, sagte Professor Wolfgang Eisenmenger, Chef der Gerichtsmedizin, als Gutachter aus. Eisenmenger zeigte sich „entsetzt über so viele Fehler“: „Wenn bei allen alterstypischen Verletzungen solche Maßstäbe angelegt worden wären, hätte man auch mir als Vater das Sorgerecht entziehen müssen.“

Die 9. Zivilkammer des Landgerichts entschied am Donnerstag: Die Haunersche Kinderklinik muss an die Familie 20 000 Euro bezahlen!

Jugendämter und Familiengerichte: EU-Kommission will jeden heiklen Fall genau prüfen

Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich nach einem Traum vom Jugendamt aufgewacht? Deutsche Sorgerechtsfälle erregen im Ausland immer mehr Aufmerksamkeit, Jaques Barrot versichert als Vizepräsident, dass die EU-Kommission „besonders heikle Fälle mit außerordentlicher Genauigkeit verfolgt“. Schon fällt das Scheinwerferlicht auf Bamberg. Dort soll ein Gutachter einer Mutter eine Krankheit bescheinigt haben, die es gar nicht gibt. Dennoch bekommt sie ihre Tochter nicht wieder.

Das erinnert an Mönchengladbach. Dort hat ein Elternpaar im Sommer 2008 vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf einen Erfolg gegen Jugendamt und Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt erzielt. Bescheinigt werden Verfahrensfehler, kritisiert wird, dass sich Gerichtsentscheidungen an einem veralteten Gutachten orientiert haben.

Und die Tochter Jessica des Elternpaares, die seit über vier Jahren im Schloss Dilborn lebt? Ist immer noch dort. Auf die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Düsseldorf hat das Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt nämlich nach dem Motto „Der gleiche Fall – die gleiche Richterin“ reagiert. Man kennt sich: Ein Familienrichter den Gutachter der Mönchengladbacher Familie so gut, dass man sich auch bei Veranstaltungen an der Hochschule Niederrhein trifft.

Kindeswohl müsse vor Elternrecht rangieren, sagen sie mit anderen und gehen so weit, dass die Eltern ihrer Tochter Weihnachten 2008 Geschenke nicht einmal mehr persönlich im Heim überreichen dürfen. Und die Bundeskanzlerin? Die weiß nach ihren Angaben fast von nichts. Und die Bundesfamilienministerin? Die weiß ebenso viel.

Derweil werden Jessica aus Mönchengladbach immer weiter Probleme bescheinigt. Wäre das Elternhaus dafür verantwortlich, wäre das Geschrei groß, das Mädchen lebt aber in einem Heim, das alles an sich gezogen hat. Deshalb: herrscht Schweigen. Schon viel zu lange.

Und was macht der Gutachter? Der schwärzt den Verfasser dieser Zeilen als Redakteur an, wo er nur kann. Angeblich sogar bei der Staatsanwaltschaft in Mönchengladbach. Täte das ein Elternpaar, würde man dafür sicherlich sogar eine Krankheit finden, die es möglicherweise auch noch gibt…

Früher die Juden, heute die Kinder

Dialog mit dem Jugendamt Stuttgart im Jahre 2008: „Ihr Kind ist ja jetzt woanders.“ – „Wo ist denn unser Kind?“ – „Das sagen wir Ihnen auch nicht.“

Stuttgart hat seit 1. Dezember 1941 Tradition in der Verschleppung von Kindern. An diesem Tag fuhr vom Güterbahnhof Stuttgart-Nord der erste Deportationszug in Richtung KZ ab, mit dem „Gut“ Mensch, insgesamt von Stuttgart aus „2000 Stück Juden“. Bis auf 20 Menschen wurden alle ermordet. Schon damals wurde in Stuttgart geleugnet, heute wird wieder geleugnet, denn man tut so, als wäre es vorbei.

Dr. Wolfgang Schuster, Oberbürgermeister Stuttgart: „Leider gab es hier immer auch Menschen, die die begangenen Verbrechen leugneten und die nicht sehen wollten, was damals an Leid zugefügt wurde und an Unrecht geschah…“

Zu den Menschenrechtsverletzungen an Kindern in Deutschland und deren Deportationen, begangen im Jahre 2008 durch Funktionierer im Jugendamt Stuttgart, wollte sich Oberbürgermeister Dr. Schuster trotz mehrfacher Anfragen zum Gedenktag nicht äußern.

Dennoch, zumindest der Architekt der Gedenkstätte erkannte die Eigenheiten der Schwaben, zur Einweihung der Gedenkstätte sagte er: „Wir werden uns fragen lassen müssen, warum wir mehr als 64 Jahre brauchten, um uns hier der Vergangenheit zu stellen.“ – Es ist nicht zu erwarten, dass Jugendamtsleiter Bruno Pfeifle schneller denken kann.

Weihnachten ohne Kinder – Jugendamt Wuppertal „schlug wieder einmal zu“.

Der Fall „Wuppertaler-Kellerkinder“

Zwei Jahre haben Kinder, die in einer Pflegefamilie untergebracht waren, in Kellerräumlichkeiten gelebt. Es handelt sich laut Gutachten um einen Kellerraum ohne Fenster, der sehr klein sein soll und kaum Platz zum Spielen lässt. Das Jugendamt teilte auf Anfrage mit, dass es sich nicht um einen Keller handeln würde, da das Haus keinen Keller habe. Dem Elternverein liegen die Pläne des Hauses vor, die leibliche Mutter der beiden Kinder hat sich selbst davon überzeugen müssen, dass es sich sehr wohl um „Kellerräume“ handelt.

Im Juli 2008 hat das Jugendamt Wuppertal zunächst eines der Kinder aus der Pflegefamilie rausgeholt und es in einer Einrichtung untergebracht und auch kurz darauf das zweite Kind, gemeinsam mit der leiblichen Mutter, in einer Mutter-Kind-Einrichtung wieder zusammengeführt.

Das Jugendamt schrieb dem Elternverein am Tage der Herausnahme: „Frau „XY“ und Kind sind in Sicherheit“. Alleine diese Formulierung spricht für sich.

Am 19.12.2008 nun wollte die Mutter der drei Kinder gemeinsamem mit den beiden Kindern, die sich mit ihr in einer Wuppertaler Mutterkindeinrichtung befanden, zu einem Gespräch zur Fachbereichsleiterin des Jugendamtes Wuppertal fahren, anschließend ein Kinderarztbesuch wahrnehmen. Dies teilte sie auch der Einrichtung mit.

Grund war ein Schreiben des Jugendamtes, wonach die Mutter über die Weihnachtstage in der Einrichtung verbleiben sollte und nicht gemeinsamem mit dem Ehemann (Vater von zwei der drei Kinder) oder der Familie das Weihnachtsfest Feiern dürfte. Den weiteren Sohn dürfen die Eltern ebenfalls nicht sehen, da dies Personell an Weihnachten nicht zu machen sei. Telefonisch war das Jugendamt nicht zu erreichen. Dort war es nur möglich auf den jeweiligen Anrufbeantworter zu sprechen und um Rückruf zu bitten. Dies tat die Mutter mehrfach, ein Rückruf erfolgte nicht. Dem AB ist aber zu entnehmen, dass man sich an die Polizei wenden soll.

Die Mutter und der Vater trafen sich daher nun an der Einrichtung. Der Mutter wurde sofort durch eine Mitarbeiterin der Mutter-Kind-Einrichtung die Mitnahme ihrer eigenen Kinder verweigert. Als der Vater die Betreuerin nun an die Seite verwies und seine Tochter mitnahm, wurde die Polizei gerufen und eine Inhobhutnahme ausgesprochen. Noch während der Fahrt zum Jugendamt wurden die Eltern gemeinsam mit der Bekannten von der Polizei angehalten (mit Blaulicht und die Hand an der Schusswaffe), die Kinder wieder in die Einrichtung verbracht, diesmal aber in die Kindernotaufnahme.

Die Mutter musste sofort ihr Appartement räumen und die Mutter-Kind-Einrichtung in Wuppertal verlassen, das Vertrauensverhältnis sei nicht mehr vorhanden. Dort wurde den Eltern ein Hausverbot ausgesprochen. Die Mitarbeiterin fühlte sich vom Vater bedroht.

Alle Versuche der Eltern in Gesprächen mit dem Jugendamt, dem Amtsleiter Verst, der Fachbereichsleiterin Busch und der Sachbearbeiterin hatten keinen Erfolg. Den Eltern wurde nicht einmal gesagt warum nun eine Inhobhutnahme ausgesprochen wurde und wo die Gefahren gesehen werden. Lediglich wurde den Eltern mitgeteilt, dass der Dienstleiter (Mutter-Kind-Einrichtung), nicht mehr bereit sei, die Mutter aufzunehmen. Es würde eine Kindeswohlgefährdung vorliegen. Ob die Eltern Weihnachten die Kinder sehen könnten, konnte niemand sagen, da dies Personell am Freitagnachmittag nicht mehr zu klären sei.

Die Mutter brach am Abend zusammen und auch der Vater ist am Boden zerstört. Beide fürchten nun die Kinder Weihnachten nicht sehen zu dürfen.

Hintergrund:

Den Eltern wurde das Aufenthaltsbestimmungsrecht für zwei der drei Kinder entzogen, da diese sich vor mehr als zweieinhalb Jahren ständig gestritten hatten. Zwei Kinder wurden in einer Pflegefamilie untergebracht. Der Vater hat an sich gearbeitet, hat sich seit mehr als zwei Jahren nichts mehr zu schulden kommen lassen, ein Antigewalt Training erfolgreich absolviert und beide haben ein Insolvenzverfahren in Gang gesetzt. Alle Auflagen wurden erfüllt. Der Mutter wirft man vor, dass diese sich gegenüber dem Vater nicht ausreichend abgrenzen würden und eigene Bedürfnisse nicht durchsetzen könne.

In einem vom AG Wuppertal eingeholten Sachverständigengutachten wurde vermerkt, dass die Kinder in der Pflegefamilie keine Kindgerechten Filme sehen würden, von den Pflegeeltern beeinflusst werden. Die Kinder sind in einem Fensterlosen Raum untergebracht, dass so klein ist, das die Kinder dort nicht spielen können, über den Konsum von Gewaltfilmen mit dem „neuen Papa“ bis hin zur offenbar überforderten Pflegemutter, die vor dem Besuch der Sachverständigen tagelang aufgeräumt haben soll.

Verantwortlich:  Paul Bludau

Jugendamt holt Kind ab, Gutachter prüft ob Eltern ihren Nachwuchs großziehen können

Isenhagener Land. Niedersachsenweit wurden im vergangenen Jahr 2235 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren zu ihrem eigenen Schutz vorläufig von den Jugendämtern in Obhut genommen. Die Zahl der Fälle nahm damit gegenüber dem Vorjahr um sieben Prozent zu. Bundesweit lag die Steigerung bei plus 8,4 Prozent. Nur in acht Fällen handelte es sich um sogenannte Herausnahmen, bei denen die Kinder gegen den Willen der Sorgeberechtigten in Obhut genommen werden.

Doch wie läuft ein solcher Prozess ab? Was können betroffene Eltern machen? Ein Beispiel im Gifhorner Nordkreis macht deutlich, wie hilflos sich Eltern in einer solchen Situation fühlen können. „Es wird wohl ein trübes Weihnachtsfest“, sagt die 31-jährige Mutter. Ihr Kind wurde am 25. November von Mitarbeitern des Gifhorner Jugendamtes mitgenommen. Seitdem dürfen die beiden Eltern das Kind nur noch mit Erlaubnis des Amtes sehen.

„Wir sollen mit dem Kind nicht klarkommen, heißt es aus dem Jugendamt“, berichtet der 24-jährige Vater des Kindes. Am 11. Dezember ging die Sache vor Gericht. Das Ergebnis: Ein Gutachter soll prüfen, ob die beiden in der Lage sind, ihr Kind großzuziehen.

Als Frühgeburt kam das Kind zur Welt und musste einige Zeit im Krankenhaus bleiben. Wenige Zeit später musste das Kind wieder ins Krankenhaus. Grund war ein Beinbruch. Die beiden Eltern sprechen von einem „Wunschkind“ und wollen es zurückbekommen. Momentan befindet es sich in einer Pflegefamilie. Für die Eltern gerade in der Weihnachtszeit nicht einfach. Ansprechpartner ist das Jugendamt. Die Behörde vermittelt zwischen Eltern und Pflegefamilie. Alle zwei Wochen darf das Kind von den leiblichen Eltern besucht werden, dann wird ein neutraler Treffpunkt ausgemacht. „Wir wollen unser Kind zumindest gern wöchentlich sehen können“, sagt der leibliche Vater. So wollen die Eltern eine Entfremdung ihres Kindes verhindern. Erst gestern durften sie ihr Kind besuchen – und das heißt folgerichtig, dass das nächste Wiedersehen erst am 31. Dezember stattfindet. „Eigentlich wollten wir gemeinsam mit unseren Familien Weihnachten feiern“, sagt die Mutter, doch daraus werde jetzt wohl nichts mehr.

Die Eltern können nur abwarten, bis sich der Gutachter bei ihnen meldet. Der Gerichtsbeschluss besagt, dass ein Gutachter feststellen soll, ob die leiblichen Eltern in der Lage sind, dass Kind großzuziehen.

Erste Kreisrätin Ingrid Alsleben betont, dass in diesem Fall „zum Wohle des Kindes“ gehandelt werden solle. „Wir müssen herausfinden, ob die Eltern überfordert sind“, sagt Alsleben. Außerdem müsse das Kind nun erstmal zur Ruhe kommen. Vorrangig gehe es um das Wohl des Kindes. Schon nach der Geburt standen die Eltern in engem Kontakt mit dem Jugendamt. Die Sozialpädagogische Familienhilfe unterstützte die Eltern.

Wie lange die Erstellung des Gutachtes letztendlich dauert, kann auch die Erste Kreisrätin nicht sagen. Es ist davon abhängig, wie sehr der Gutachter belastet ist. Die Eltern hoffen, dass ein erstes Treffen mit dem Gutachter noch vor Weihnachten stattfindet. Ansonsten bleibt ihnen nur abzuwarten.

Von Jörn Nolting

Amtlicher Größenwahn

Größenwahn des Jugendamtes

21. Dezember 2008 Die Haustür öffnet sich halb, als das Auto vorfährt, heraus gucken zwei blonde Jungen. Bettina Siebert (Name geändert) steigt aus, zögernd nähert sie sich dem Haus, den Kopf leicht vorgereckt, um die beiden Kinder zu mustern. Plötzlich erkennt sie ihren fünfjährigen Sohn, „Florian!“, ruft sie und rennt auf ihn zu. „Mama!“, ruft er und wirft sich in ihre Arme. Während sie ihn kniend umarmt, blickt sie über seine Schulter ins Innere des Hauses. „Christina, kommt Christina auch?“, fragt sie besorgt.

Eine dunkelhaarige, kräftige Frau kommt in den Flur: Frau S. Höflich schüttelt sie Bettina Siebert die Hand, ohne sie jedoch hereinzubitten. Sieberts elfjährige Tochter Christina kommt die Treppe herunter und drückt die Mutter zur Begrüßung. Frau S. sieht zu, sagt: „Vergiss deine Jacke nicht“, und dann streicht sie Christina liebevoll die Haare aus dem Gesicht. „Bringen Sie sie um sechs wieder?“, fragt Frau S. Die Mutter nickt.

„Ich vermisse dich so sehr, ich will nach Hause“

Seit Ende Juni leben Christina und Florian bei Herrn und Frau S. Sie sind Pflegekinder. Für die Betreuung zweier Kinder dieses Alters bekommen Pflegeeltern am Wohnort der Familie S. im Monat 1730 Euro netto vom Staat, und vielleicht muss Bettina Siebert ihnen demnächst „Unterhalt“ zahlen und einen Teil dieser Kosten übernehmen. So, als habe sie ihre Kinder wegen eines neuen Partners verlassen und würde nicht alleine in ihrer Wohnung mit den leeren Kinderzimmern sitzen.

Vor vier Jahren suchte sie erstmals den Kontakt zum Jugendamt, seit Ende 2006 erhielt sie Hilfen zur Erziehung, weil sie aufgrund von Eheproblemen depressiv war. Als ihr Mann der Wohnung verwiesen wurde – er wurde ihr gegenüber aggressiv -, landeten die Kinder im vergangenen März im Heim, danach kamen sie in die Pflegefamilie. Bettina Siebert lebt seitdem allein, seit Ende August ist sie geschieden. Sie nimmt Antidepressiva, befindet sich seit längerem in einer Psychotherapie, ihre Psychologin und ihre Psychiaterin bestätigen ihr seit Anfang März in regelmäßigen Abständen, dass „die Fortsetzung der Betreuung ihrer beiden Kinder derzeit weiterhin möglich“ ist und ein „ausreichendes Verantwortungsgefühl“ sowie eine „ausreichende Urteils- und Kritikfähigkeit“ bestünden. Anders ausgedrückt: Seit der Mann weg ist, geht es Bettina Siebert gut.

Das Jugendamt Bochum-Wattenscheid aber lässt die Kinder in der Pflegefamilie. Als Siebert an diesem Nachmittag mit ihnen zum Eisessen fährt, redet ihr Sohn sie mit dem Vornamen der Pflegemutter an und berichtigt sich: „Ich meine: Mama.“ Sie schweigt, dann sagt sie leise, mehr zu sich selbst: „Die haben es ja schon bald geschafft, dass wir uns fremd sind.“ Sechs Wochen lang durfte sie ihre Kinder nicht sehen, nachdem sie zu den S. gezogen waren, nicht einmal Briefe durfte sie schicken, dabei hatte Christina ihr doch aus dem Heim geschrieben: „Ich vermisse dich so sehr, ich will nach Hause.“

Erziehungsindustrie Kindesentzug

Zurzeit sieht sie ihre Kinder alle vier Wochen, einmal in der Woche darf sie sie anrufen. Die Pflegemutter schaltet dann die Lautsprecherfunktion ein, weil Frau Siebert einmal am Telefon geweint hat. Weinen ist verboten, weil es die Kinder unglücklich macht. „Es tut so schrecklich weh – als wenn einem das Herz herausgerissen würde“, sagt Bettina Siebert. Nach Ansicht von Uwe Jopt, Professor für Psychologie an der Universität Bielefeld und Gutachter an Familiengerichten, ist die Trennung von den Eltern „die schwerste seelische Verletzung, die einem Kind zugefügt werden kann“ – angeordnet „von Leuten, die dafür psychologisch unzureichend ausgebildet sind“.

An eine Rückkehr der Kinder ist indes nach Ansicht des Amtsgerichts Bochum gar nicht zu denken. Der zuständige Familienrichter will nach einer Anhörung der Kinder im Gegenteil prüfen lassen, ob Frau Siebert die elterliche Sorge entzogen werden muss. Ihr Anwalt Heribert Kohlen spricht von einem Skandal. „Der Kindesentzug ist eine richtige Erziehungsindustrie geworden, ganz normalen Familien, die Hilfe brauchten, werden die Kinder weggenommen, weil sie nicht die erzieherischen Standards von Sozialpädagogen haben“, sagt Romy Linke-Rothenberg, Vorsitzende des Vereins „Family Angels“, der sich um Eltern in Notsituationen kümmert. „Jeder, der Hilfe braucht, wird sofort stigmatisiert, vor Gericht entsteht eine Konkurrenzsituation zwischen Eltern und Jugendamt: Wer ist der bessere Erzieher? Das ist fatal.“

Eigentlich müsste das Jugendamt helfen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Kinder zurück zu ihren Eltern können, es gibt die sogenannte Mitwirkungspflicht im Kindschaftsrecht, nach der Eltern und Kindern nicht die gemeinsame Basis entzogen werden darf. Doch seit Jugendämter sich immer öfter dafür rechtfertigen müssen, dass Kinder in Kühlschränken oder Blumenkübeln gefunden werden – grausam misshandelt und getötet von ihren Müttern und Vätern -, seitdem werden so viele Kinder aus ihren Familien genommen wie nie zuvor in Deutschland: 435mal geschah das im vergangenen Jahr gegen den Willen der Eltern, das war fast dreimal so oft wie 2006 und viermal so oft wie noch im Jahr 2000.

Dem Jugendamt ausgeliefert

Ursache dafür ist nach Ansicht von Heinrich Kupffer, emeritierter Professor für Sozialpädagogik und einstiger Leiter von Landerziehungsheimen, ein struktureller Fehler: Es werde so getan, als seien die Mitarbeiter der Jugendämter allwissend – ein riesiges gesellschaftliches Problem werde auf ihren Schultern abgeladen. Dieser Herausforderung sei niemand gewachsen, und unter Druck neigten Jugendämter dazu, auf Nummer Sicher zu gehen: Sie griffen mit harter Hand durch, statt sich lange mit einem Fall auseinanderzusetzen und dort zu helfen, wo es nötig sei.

Eine übergeordnete Behörde aber, die die Ämter kontrolliert, gibt es nicht. Seit Anfang dieses Jahres beschäftigt sich daher der Petitionsausschuss des Europaparlaments in Brüssel mit dem Thema. Dessen Vorsitzender, Marcin Libicki, meint, „dass sich die Mitarbeiter deutscher Jugendämter zum Teil diskriminierend verhalten und dies nicht dem europäischen Recht entspricht“. Sind die Kinder jedoch erst mal von ihren Eltern getrennt, sind die Familien den Jugendämtern quasi ausgeliefert.

Zum Beispiel im Fall Mosuch: Die Tochter von Michael Mosuch und seiner Lebensgefährtin Maike Weber wird Ende Dezember vergangenen Jahres geboren. Zwölf Tage nach der Geburt, am 10. Januar 2008, unterzeichnet das unverheiratete Paar eine gemeinsame Sorgeerklärung, am nächsten Tag lässt sich Maike Weber wegen eines durch die Entbindung ausgelösten psychotischen Schubs ins Krankenhaus einweisen, der Säugling wird bei ihren Eltern untergebracht, wo der Vater die Kleine jeden Tag besucht. Nach drei Tagen verbietet ihm die Großmutter plötzlich, seine Tochter zu sehen.

Statusbedingte Arroganz

Vier Tage lang lässt sie ihn nicht zu seiner Tochter, so dass er sich schließlich an den Sozialen Dienst des Jugendamtes Stuttgart wendet. Die Großmutter soll das Kind herausgeben, er will es zu Hause versorgen. Eine Vollmacht von Maike Weber legt er drei Tage später beim Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt vor. Am nächsten Tag bekommt Michael Mosuch Besuch vom Jugendamt. Er zeigt den beiden Mitarbeitern sämtliche Babyutensilien und erklärt auf Nachfrage, wie die Fläschchen in kochendem Wasser sterilisiert werden. Das Jugendamt guckt sich alles an und unternimmt – nichts. Am nächsten Abend schreitet er deshalb selbst zur Tat: Er will sein Kind, in Absprache mit seiner Lebensgefährtin, von den Großeltern wegholen. Daraufhin entzieht das Amtsgericht Stuttgart Mosuch noch am gleichen Tag das Aufenthaltsbestimmungsrecht: Es sei „völlig ungeklärt, ob der Vater überhaupt in der Lage ist, den erst wenige Wochen alten Säugling sachgerecht zu versorgen“.

Dass ein Jugendamt einem Vater das Kind „wegnimmt“, obwohl er ihm „nichts getan“ hat – dass das Amt also vorbeugend tätig wird -, ist seit vergangenen März möglich: Da wurde der Paragraph 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuchs novelliert, um Gerichten den Sorgerechtsentzug zu erleichtern. Seitdem muss das Jugendamt nicht mehr den Nachweis elterlichen Versagens führen, um die Kinder aus der Familie herauszunehmen. Das bedeutet: Eltern müssen schon dann um ihr Sorgerecht fürchten, wenn ihre Erziehungsvorstellungen von denen der Behörden abweichen. Professor Kupffer spricht in diesem Zusammenhang von „statusbedingter Arroganz“: Die Eingriffsmacht des Amtes werde zur Urteilskompetenz umgedeutet, „dass der Eingriff des Amtes aber selbst eine Gefahr darstellen könnte, bleibt unberücksichtigt“.

Mosuchs Kind kommt zwei Tage später in eine Bereitschaftspflegefamilie. Mosuch sagt: „Ich wurde vom Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt erpresst, dem zuzustimmen. Die Familienrichterin Brigitte L. hat mir erklärt, sonst würde sie die Möglichkeiten schaffen, mir das Sorgerecht insgesamt zu entziehen.“ So schaffen Gerichte die Voraussetzungen dafür, dass Kinder ihre Eltern verlieren und in einer Pflegefamilie aufwachsen. Die Jugendämter, deren Anregungen die Gerichte fast immer folgen, müssen sich dafür noch nicht einmal rechtfertigen. So heißt es in einer Handreichung des Kreisjugendamtes Böblingen vom 27. Juni 2005 an seine Mitarbeiter: „Entscheidungen in Krisensituationen beruhen auf Prognosen. Auch bei sorgfältiger Prüfung lassen sich Fehlentscheidungen nicht ausschließen.“

„Ein rechtsfreier Raum“

Die Handreichung stelle „sicher, dass das Jugendamt nachweisen kann, alles getan zu haben. Damit sind auch die Fachkräfte im Jugendamt vor Schuldvorwürfen oder strafrechtlicher Verfolgung geschützt.“ Für Wolfgang Klenner, psychologischer Gerichtssachverständiger in Familiensachen und Emeritus für Psychologie, heißt das: „Entscheidungen von schicksalhafter Tragweite werden von Behördenmitarbeitern getroffen, die auch bei vorsätzlich verantwortungslosem Handeln nicht haftbar gemacht werden können. Das nennt man einen rechtsfreien Raum.“

Mosuch geht im Januar davon aus, dass seine Lebensgefährtin bald in eine Mutter-Kind-Einrichtung wechseln kann, und gibt seine Zustimmung zu der Bereitschaftspflege ausdrücklich nur bis zu diesem Termin. Richterin L. jedoch beugt vor: Mitte Februar stellt sie rückwirkend mit Hilfe eines nachträglich beauftragten Gutachters klar, dass die Sorgeerklärung, die Mosuch und Weber am 10. Januar unterschrieben haben, nichtig sei. Weber sei damals schon nicht mehr geschäftsfähig gewesen. Sie ignoriert dabei, dass die Urkundsbeamtin des Jugendamts, die die Urkunde ausgestellt hatte, anderer Ansicht war.

Die Folge: Das Jugendamt wird Vormund des Säuglings. Im Mai bekommt Maike Weber endlich einen Platz in einer Mutter-Kind-Einrichtung – doch das Kind wird nicht dorthin verlegt. Das Jugendamt Stuttgart lässt wissen, ein „Ad-hoc-Wechsel“ sei „nicht im Sinne des Wohlergehens“ des Säuglings. Mosuch ist fassungslos, wählt von nun an nicht immer einen ruhigen Ton. Man hält ihn bald für renitent und reduziert die sogenannten Umgangskontakte der Eltern mit ihrem Kind auf einmal die Woche.

Hausverbot vom Amtsleiter

Die Lage eskaliert, als Mosuch Mitte Juni ein Video dreht, das später im Internet und vor kurzem auch im Fernsehen zu sehen war. Darauf sieht man, wie eine Mitarbeiterin des Amtes den Eltern den für diesen Tag anberaumten Umgangskontakt verbietet, weil sie sich in die Enge getrieben fühlt. Sie sagt „Jetzt reicht’s“ und kündigt an, den Säugling in die Notaufnahme des Jugendamtes zu verlegen.

Ein paar Tage später erfahren die Eltern: Sie dürfen ihr Kind wegen der Homepage und der „mangelnden Kooperation“ Mosuchs nicht mehr sehen, außerdem sollen sie sich einem Gutachter vorstellen, der ihre Erziehungsfähigkeit überprüfen soll – was beide verweigern. Bei Mosuch, dem der Amtsleiter zudem ein Hausverbot ausspricht, kommt dies so an: Das Jugendamt stellt eigene Befindlichkeiten über das Wohl des Kindes. Professor Kupffer kann das nur bestätigen: „Will das Amt seine Eingriffskompetenz erhalten, wird es das Kind diesem Ziel opfern.“

Zwar ordnet das Amtsgericht Mitte Juli an, dass das Jugendamt den Eltern den Umgang wieder ermöglichen muss, und weist sogar darauf hin, dass das Amt an die Einhaltung des Grundgesetzes gebunden ist. Doch sehen Mosuch und Frau Weber ihre Tochter erst drei Monate nach ihrem letzten Umgangskontakt wieder. Einer der Gründe: Angeblich war die zuständige Mitarbeiterin im Jugendamt vier Wochen lang „nicht anwesend“.

Größenwahn des Jugendamtes

Fortan können die Eltern ihr Kind zwar wieder einmal in der Woche sehen, doch immer nur für zwei Stunden und nie allein. Die Termine werden immer wieder ohne Absprache verlegt oder fallen „krankheitsbedingt“ aus. Offensichtlich soll es Mosuch und Frau Weber, die inzwischen wieder gesund ist, erschwert werden, sie einhalten zu können. Doch beide sind immer auf die Minute pünktlich und kümmern sich, wie die Mitarbeiterin des Kinderschutzbundes notiert, „liebevoll“ um die Kleine.

Dennoch hält das Jugendamt fest, die Besuche stellten für die Kleine „eine große Belastung dar, da sie in der Vergangenheit häufig wechselnde Bezugspersonen“ gehabt habe und gerade beginne, „eine Beziehung zu den neuen Pflegeeltern aufzubauen“. Mitte Oktober beantragt das Amt bei Gericht, die „Umgangskontakte“ auszusetzen: Die Eltern hätten sich geweigert, ihre Erziehungsfähigkeit begutachten zu lassen, und der Vater habe „mit seinem Verhalten eine Atmosphäre geschaffen“, die „weder dem Kind noch den weiteren Beteiligten zumutbar“ sei. Ohne die Antwort der Richterin abzuwarten, reduziert das Jugendamt die Treffen zwischen Eltern und Kind auf einmal im Monat.

„Das Amt hat die ganz legale Befugnis, eine von ihm selbst markierte Menschengruppe de facto ihrer Bürgerrechte zu berauben“, meint Kupffer. Wer sich aber daran gewöhne, andere zu kontrollieren und ihren Lebensweg zu steuern, werde schließlich selbst daran glauben, „dass er das auch wirklich kann, weil er es darf. Dies nenne ich den strukturellen Größenwahn des Jugendamtes.“

Auch Bettina Siebert bekommt den nun zu spüren: Sie soll ebenfalls dafür büßen, dass sie versucht hat, um ihre Kinder zu kämpfen. Nachdem sie sich an diese Zeitung gewandt hatte, teilte ihr die Pflegemutter mit, sie solle „sich nicht einbilden, dass sie ihre Kinder jemals zurück“ bekomme.

Der Verdacht

Ein einziger Tag zerstört das Leben einer Familie im Saarland. Die achtjährige Lena werde vom Vater misshandelt, behauptet eine fremde Frau aus der Nachbarschaft. Die staatliche Maschinerie dreht durch: Den Eltern wird das Kind entrissen – und als der Verdacht zwei Jahre später zerfällt, will Lena nicht mehr heim.

Eine Mutter, der ihr Kind abhanden kam, ist nicht zu trösten. Ihre Traurigkeit füllt das Haus. Ihr Kaffee schmeckt nach Kummer. Sie kann den Garten nicht betreten, ohne an das erinnert zu werden, was ihr angetan worden ist. Steigt sie in den ersten Stock, sieht sie das Zimmer ihrer kleinen Tochter: geräumig, sonnig, unverändert. Das bunt bezogene Bett, seit 22 Monaten verwaist. Puppen und Bären, erstarrt im Glasschrank. Staubwischen und Blumengießen, das ist alles.

Lena*, die Tochter, ist nicht tot. Auch nicht schwer krank oder vermisst. Sie lebt nur wenige Kilometer entfernt – und doch woanders. Fremde Leute kümmern sich jetzt um sie, kochen für sie, küssen sie zur guten Nacht. Einmal in der Woche darf die Mutter ihr Kind sehen, auf neutralem Boden, in einem trostlosen Spielzimmer. Da sitzen sich die beiden gegenüber, und immer ist ein Dritter anwesend. Gelegentlich werden aus den Mitschriften der Überwachungspersonen Berichte angefertigt betreffend „Familiensache Lena Müller“. Eine freundliche Atmosphäre, in der über alles gesprochen werden könnte, kann nicht aufkommen. Anfangs kam es noch zu Szenen der Leidenschaft zwischen Tochter und Mutter, tränenüberströmtem Aneinanderklammern, sehnsüchtigen Küssen. Inzwischen überwiegen die Verletzungen. „Eigentlich will ich gar nicht mit dir reden“, sagt das Kind jetzt. „Am liebsten wäre ich gar nicht mehr dein Kind.“ Oder: „Ich hab dich nicht mehr lieb.“

Vor ein paar Monaten hatte sich Lena bei einem dieser „Besuchskontakte“ geweigert, die Mutter überhaupt anzusprechen. Lena war in ein anderes Zimmer gerannt und hatte beharrlich geschwiegen. Deshalb ließ sich Beate Müller von ihrem Mann in die Notaufnahme einer psychotherapeutischen Klinik bringen, weil sie dachte, sie verkrafte das alles nicht mehr.

Die Monate nach dem Verlust ihres Kindes läuft die Mutter nur barfuß, auch im Winter. Sie habe Boden unter den Füßen spüren müssen, sagt sie. Nachts liegt sie wach und spricht mit dem Vater. Immer über dasselbe: Lena. Wo ist sie? Wie geht’s ihr? Beim Aufstehen ist Frau Müller schlecht. Warum haben sie mir mein Kind weggenommen? Was haben sie mit ihr angestellt?

Sie kann nichts tun, darum betätigt sie sich. Stricken wird zu ihrer Sucht. Es entstehen Pullover, Schals, Westen, schränkeweise. Stricken, grübeln, weinen. Warum dieses Elend? Was haben wir falsch gemacht? Womit habe ich diese Ablehnung, diese Demütigungen verdient? Mein Kind, wer hat diesen Keil zwischen uns getrieben?

Als Lena ihren Eltern weggenommen wird, vermerkt der zuständige Familienrichter: „Das Kind möchte zurück zu Mama und Papa. … Lena hat spontan geäußert, es möchte auf jeden Fall zurück, es vermisse die Mutter und auch den Papa, auch der Bruder fehle ihr.“ Nach fast zweijähriger Trennung von den Eltern sagt Lena demselben Richter am 15. April 2003: „Für mich ist meine Mama auch eigentlich nicht mehr meine Mama… Ich kann nur sagen, ich will nicht zurück.“

Was der Familie Müller aus einem Städtchen bei Saarbrücken widerfuhr, ist der Albtraum jedes Vaters, jeder Mutter, jedes Kindes. Die vielen Akten ihres Verfahrens dokumentieren die Zerstörung einer Familie durch staatliche Stellen – das Drama von der Machtlosigkeit eines einzelnen Bürgers, der in die Mühlen von Gerichten und Behörden gerät und für den Rest seines Lebens beschädigt bleibt, auch wenn er sich nichts zuschulden kommen ließ. Hier zeigt sich, zu welcher Inhumanität Amtspersonen in der Lage sind, wenn sie zu viel Macht haben und ihr Handeln zu wenig kontrolliert wird. Hier zeigt sich aber auch, welches Unheil angerichtet wird, wenn Gutachter ihre Wissenschaft vernachlässigen und Richter sich auf solche Sachverständigen verlassen. Und es zeigt sich, was von Zwangsvorstellungen getriebene Menschen anderen antun können.

„Kindesentführung! Gebt mir mein Kind heraus“, schreit die Mutter

Ihren Anfang nimmt die Katastrophe am 30. August 2001, als das achtjährige Kind Lena Müller von der Grundschule nicht mehr nach Hause kommt. Eine Frau aus der Nachbarschaft, sie soll Frau X. heißen, deren Tochter Sonja mit Lena die gleiche Schule besucht, hat das Kind abgeholt und bei sich behalten. In ihrem Hause wartet schon eine engagierte Dame vom nächsten Kinderschutzzentrum. Die hatte in den Wochen zuvor bereits diskrete Befragungen des Kindes Lena im Hause X. durchgeführt – Lenas Eltern hat man im Glauben gelassen, ihre Tochter sei zum Spielen da –, dann hatte sie eine Mitarbeiterin des zuständigen Jugendamtes alarmiert. Die Frauen sprachen den Verdacht aus, Lena werde zu Hause misshandelt und missbraucht. Die Frau vom Kinderschutzzentrum und die vom Jugendamt beschließen nun, Lenas Mutter an jenem 30.August mit den Vorwürfen zu konfrontieren und das Kind nicht mehr nach Hause zu lassen, sollte die Mutter nicht einsichtig sein.

Der Mutter stellt sich diese Maßnahme der Aufdeckerinnen als ein Feuerwerk des Dilettantismus dar: Ihr Telefon klingelt, am anderen Ende ist eine Anruferin mit Bindestrichnamen, die sich als Beauftragte des Kinderschutzzentrums vorstellt. Anfangs meint die Mutter, die Fremde wolle um Spenden werben. Als ihre Gesprächspartnerin sie plötzlich zu überreden sucht, sie, die Mutter, solle als „Schutzengel an die Seite ihres Kindes“ treten, glaubt sie an einen dummen Witz. Dann fängt die Anruferin von Misshandlung und Missbrauch an, und Frau Müller legt auf. „Solch einen Quatsch“ will sie sich nicht anhören. Sie überlegt noch, ihr Kind von der Schule abzuholen, hält diese Reaktion jedoch für übertrieben.

Aber Lena kommt nicht heim. Dafür taucht die Kinderschützerin jetzt persönlich auf und schiebt einen Zettel unter der Tür durch, auf dem zu lesen ist, Lena sei zu Familie X. gebracht worden. Da begreift die Mutter den Ernst der Lage. Sie radelt die kurze Strecke zur Nachbarin X. und gerät vor deren Haus vor Angst außer sich. „Kindesentführung! Gebt mir mein Kind heraus!“, schreit sie. Aber sie wagt nicht, die fremde Wohnung zu betreten und Lena an sich zu reißen. Als ihr Notruf wirkungslos bleibt, stellt sie Lenas großen Bruder als Wache auf und fährt zitternd heim, um mit ihrem Mann zu telefonieren, der als Offizier im Zentrum Innere Führung der Bundeswehr in Koblenz etwa 200 Kilometer entfernt stationiert ist. Der ruft sofort die Polizei und verständigt einen Rechtsanwalt.

Gebt mir mein Kind heraus! In wie vielen Nächten ist diese Szene vor dem inneren Auge der Beate Müller erschienen. Ich war zu brav! Ich hätte hineingehen sollen! Warum hat sie es nicht getan? „Ich hab nicht begriffen, was gespielt wird“, sagt Frau Müller heute. „Ich hab gedacht, jetzt kommt die Polizei und bringt die Kleine heim. Ich dachte: Alles wird gut, sobald sich auch nur ein anständiger Mensch dieser Sache annimmt.“

„Das Jugendamt hat immer Recht“

Was Familie Müller im Saarland widerfuhr, könnte jeder deutschen Familie passieren – meint der Sozialpädagoge Heribert Giebels

Ein Interview aus der DIE ZEIT 18.06.2003 Nr.26

DIE ZEIT: Kommt es oft vor, dass Kinder ein Elternteil fälschlich beschuldigen, sie misshandelt oder missbraucht zu haben?

Heribert Giebels: Misshandlung und Missbrauch von Kindern werden nicht mehr so tabuisiert wie früher: Das ist die gute Konsequenz aus der öffentlichen Präsenz des Themas. Aber die Hauptgefährdung der Kinder ist ihre Vernachlässigung durch die Eltern – Missbrauch oder Misshandlung sind Ausnahmeerscheinungen, auch wenn man die Dunkelziffer berücksichtigt.

Was die falschen Beschuldigungen angeht, kann ich nur sagen: Sie sind die schlechte Konsequenz aus der öffentlichen Präsenz des Themas. Ich kann keine Zahlen nennen, aber aus eigener Erfahrung und der von Kollegen weiß ich: Es kommt zu oft vor. Leider. Es gibt Kinder, die erheben erfundene Vorwürfe. Das kann verschiedene Gründe haben, vielleicht hat sie jemand dazu ermuntert oder es ihnen eingeredet, vielleicht steckt ein ganz anderer Konflikt der Kinder mit den Eltern dahinter, vielleicht wollen sie dem Vater oder der Mutter auch nur eins auswischen. Der Fall Müller ist in dieser Hinsicht durchaus kein Einzelfall, deswegen kommt es bei solchen Vorwürfen besonders auf professionelles Verhalten des Jugendamtes an.

ZEIT: Erleben Sie es oft, dass Kinder, die lange Zeit von ihrer Familie getrennt wurden, nicht mehr nach Hause wollen?

Giebels: Das hängt vom Alter des Kindes und der Dauer seiner Abwesenheit ab. Es wachsen ja auch Bindungen zur Pflegefamilie. Je mehr in der Trennungsphase die leiblichen Eltern ausgeklammert und von den Betreuern vor dem Kind herabgesetzt werden, je weniger im Kind der Gedanke und der Wunsch heimzukehren wach gehalten werden, desto weniger verlockend scheint ihm die Rückkehr, wenn es dann so weit ist.

ZEIT: Kommt auch das, was dem Ehepaar Müller durch das Jugendamt widerfuhr, häufiger vor?

Giebels: Bedauerlicherweise ist auch das keine Seltenheit. Das liegt unter anderem daran, dass die Jugendämter das Kinder- und Jugendhilfegesetz, das die Bibel jedes Mitarbeiters sein sollte, nicht ausreichend beachten. Das Jugendamt hat zwar die Aufgabe, die Entwicklung junger Menschen zu fördern, sie vor Gefahren zu schützen und Benachteiligungen abzubauen. Es soll aber auch Eltern bei ihrer Erziehung beraten und unterstützen, also die gesamte Familie im Auge haben.

Die betroffenen Eltern empfinden sich in der Praxis aber oft genug als ohnmächtig und das Jugendamt als allmächtig – umso mehr, als die Angelegenheiten, in denen das Jugendamt tätig wird, die Menschen meist in ihrer ganzen Existenz betreffen.

ZEIT: Wer kontrolliert das Jugendamt?

Giebels: Es unterliegt keiner Kontrolle. Es gibt nur die Rechtsaufsicht, die von der Obersten Landesjugendbehörde, den Innen- oder Sozialministerien der Länder wahrgenommen wird. Außerdem gibt es eine interne Fachaufsicht oder Supervision im Jugendamt selbst. Ich weiß aber, dass bis in den Petitionsausschuss des Bundestages sehr, sehr viele Beschwerden aus der Bevölkerung eintreffen über die Arbeit der Jugendämter.

ZEIT: Warum?

Giebels: Weil viele betroffene Eltern den Eindruck haben, dass das Jugendamt ihnen ihr Kind rücksichtslos weggenommen hat. Und in manchen Fällen, wie dem Fall Müller, ist dieser Eindruck auch berechtigt. Manche Ämter betätigen sich als eine Art Elternverfolgungsbehörde. Sie haben Probleme, sich vom veralteten Bild der Eingreiftruppe zu verabschieden.Der einzelne Sozialarbeiter im Jugendamt ist mit großer Macht ausgestattet, mit ihr kann er zerstören oder aufbauen. Dass diese Macht missbraucht wird, kommt immer wieder vor. Deshalb gerät das Jugendamt auch nach wie vor in den Ruf, ein rechtsfreier Raum zu sein. Das Jugendamt hat immer Recht, heißt es dann.

ZEIT: Gibt es denn keine Qualitätssicherung dessen, was das Jugendamt tut?

Giebels: Das ist von Amt zu Amt verschieden. Es gibt zwar Teamberatungen und Supervisionen in den Jugendämtern. In der Regel sind die beim Jugendamt beschäftigten Sozialarbeiter jedoch Einzelkämpfer, und so handeln sie auch.

ZEIT: Wie können sich Eltern wehren?

Giebels: Dienstaufsichtsbeschwerden haben wenig Erfolg, man muss vielmehr die Rechtsaufsicht bemühen und die Gerichte anrufen. Aber die wenigsten Eltern haben die Mittel zu so einer Auseinandersetzung, und sie haben zudem Angst davor, dass ihr Kind den Konflikt ausbaden muss. Sie geben den Kampf irgendwann auf und versuchen, sich mit dem Verlust des Kindes abzufinden.

ZEIT: Aber dem Jugendamt wird oft der Vorwurf gemacht, es greife zu spät ein, nämlich erst dann, wenn verhungerte Kinder in Wohnungen gefunden werden, oder wie im Fall des ermordeten Pascal aus Saarbrücken.

Giebels: Das Jugendamt ist bei diesen schrecklichen Fällen immer schon seit Jahren involviert, auch bei Pascal. Es ist für einen Sozialarbeiter ein anstrengender Spagat, die Balance zwischen den Elternrechten und der Interessenslage der Kinder zu finden. Den Fall Pascal verbindet aber mit dem Fall Lena, dass beide Male keine Ausgewogenheit zustande kam: Bei Pascal wurde auf die Eltern zu viel Rücksicht genommen, bei Lena gar keine. Und in beiden Fällen geriet das, worauf es ankommt, das Wohl der Kinder selbst, völlig aus dem Fokus des Interesses. Beide Male hat die Jugendhilfe es an Ernsthaftigkeit und Pflichtgefühl gegenüber dem kindlichen Schicksal fehlen lassen. Ich finde, dass in beiden Fällen die Verantwortlichen – und nicht nur die im Jugendamt – dafür auch strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden sollten.

Heribert Giebels arbeitet im Jugendamt Homburg und ist stellvertretender Vorsitzender des Kinderschutzbundes im Saarland. Derzeit betätigt er sich auch als Moderator im Helferkreis zur Rückführung der 10-jährigen Lena Müller

Die Fragen stellte Sabine Rückert